634: HANDSCHRIFTEN – PARADIS – LENORE

"G. A. Bürgers Lenore in Musik gesetzt von M. T. Paradis." Deutsches Musikmanuskript auf kräftigem Bütten. Nicht dat. (wohl Wien, um 1790). Qu.-4º (21,8 x 31,9 cm). 49 nn. Bl. 10 schablonengezogene Notenzeilen. Je drei Notensysteme zu drei Stimmen. Buntpapier d. Zt. mit hs. Deckeltitel (leicht berieben und bestoßen). (11)
Startpreis: 1.800,- €
Ergebnis: 1.500,- €


Ein Rarissimum in jeder Hinsicht: das Werk einer Komponistin, das nur in einem äußerst seltenen Druck existiert (ein Exemplar im British Museum). Die Verbreitung und Überlieferung erfolgte zu einem gewissen Teil handschriftlich, doch ist davon heute kaum mehr etwas auffindbar. Unser Manuskript stimmt mit dem Notentext des Erstdrucks, der 1790 in Wien erschienen ist, überein (siehe Friedländer, Das deutsche Lied im 18. Jahrhundert, 499, ohne Verleger-Angabe, MGG X, 743, sowie Eitner VII, 317). Der Verleger nennt sich im Erstdruck nicht, doch hatte er im Jahr zuvor einen Subskriptionsaufruf gedruckt (heute wesentlich häufiger als das Werk selbst!). Dort mußte er natürlich seinen Namen angeben, es handelte sich um Johann Riedinger, der die Musikerin auch auf ihren Reisen begleitete und für sie, die schon in früher Kindheit erblindet war, ein Notensetzbrett erfunden hatte. Der Druck ist dem Dichter gewidmet, und auf einer Seite richtet sie sich an Bürger persönlich: "Unter Ihrem Schutz also wage ich mich damit hinaus in’s freye Feld" (Wien, im April 1790). Nötig hätte sie dieses Patronat wohl nicht gehabt. Maria Theresia (von) Paradis (1759-1824) war eine hervorragende Pianistin, die als junge Virtuosin weite Konzertreisen unternommen hatte. Später verblieb sie in Wien, wurde dort aber in privaten Zirkeln sehr geschätzt. Diese halfen auch mit, den Druck der Lenore (später meist Leonore) zu ermöglichen. Aufschluß darüber, in welchem Verhältnis unser Manuskript zum Druck steht, könnte ein kleiner Vermerk auf dem Titelschild der Handschrift geben. Hier sind "24 1/2 Bogen" angegeben, was den 49 Blättern der Handschrift entspricht (1 Bogen = eine Querquart-Doppelseite). Der Druck umfaßt aber nur 48 Seiten, der Notentext ist im Stich also viel dichter ausgefallen. Normalerweise werden aber notengetreue Abschriften so gefertigt, daß man die Druckvorlage einfach seitenweise überträgt. Da dies hier nicht der Fall ist, dürfte es sich wohl um eine Abschrift nach dem Autograph handeln. Das ganze Erscheinungsbild spricht für eine typische Wiener Kopistenhandschrift gegen 1790. Dafür spricht auch eine Korrektur an der Stelle "Am Hochgericht tanzt um des Rades Spindel …" Das Wort ist hier zweimal durchgestrichen, bevor die richtige Form "Rades" darüber geschrieben wurde. Grund dafür dürfte die schwere Lesbarkeit im Autograph gewesen sein. Wir haben also guten Grund anzunehmen, daß unsere Handschrift dem Druck vorausgeht, zumal die Vertonung der Ballade in Liebhaberkreisen ohnehin schon vor der Drucklegung bekannt gewesen ist. – Auf festem Bütten mit Wasserzeichen dreier Halbmonde (Exportpapier für den Orient, in Wien um 1780/90 weit verbreitet). – Leicht gebräunt und fleckig.