632: HANDSCHRIFTEN – MORLACCHI – TEBALDO E ISOLINA

"Partitura No I. Scena, Coro ed Aria Boemondo, Fido a voi le mie vendette, del Tebaldo e Isolina, del Sigr. M. Francesco Morlacchi." Italienische Musikhandschrift auf Bütten. Nicht dat. (wohl Venedig, um 1822). Qu.-4º (23,3 x 32,7 cm). 57 nn. Bl. 16 Notenzeilen, mit Schablone gezogen. Alte Fadenbindung, ohne Einband. (11)
Startpreis: 1.200,- €


Das gut lesbare, recht gleichmäßig abgefaßte Manuskript überliefert eine korrekturlose Reinschrift der vollen Orchesterpartitur dieser Opernszene, allerdings mit vielen Abkürzungen, etwa bei Taktwiederholungen, und einigen unausgeschriebenen Partien, so zum Beispiel bei Stimmen wie den Fagotten, die eine andere Partie mitspielen, hier die Baßstimme. Für einen ganzen Abschnitt von 22 Takten sind die zu wiederholenden Instrumentalstimmen einfach durch "Come dall’ A al B" vermerkt, also aus dem angegebenen Bereich zu wiederholen. Bei derartigen Manuskripten handelt es sich oftmals um Reinschriften des Komponisten oder unmittelbare Kopistenabschriften aus dem Autograph. Dies läßt sich im Falle unserer Partitur sehr schön daran belegen, daß sich eine spätere Fassung dieser Szene erhalten hat, in der derselbe Zustand festzustellen ist. Bei unserer Handschrift handelt es sich um die Erstfassung dieser großen Szene des Boemondo mit Chor und Arie "Oh sposa! Oh figlia! Cari e sventurati oggetti de’ miei teneri affetti" aus dem Jahre 1822, die hier noch die Nr. 10 im zweiten Akt war. In der zweiten Version von 1825 wurde die Szene zur Nr. 9. Von dieser Fassung ist das autographe Manuskript Morlacchis der ganzen Oper erhalten (Sächsische Landesbibliothek Dresden, Mus. 4657-F-508, wohl um 1823/25). Viele Ähnlichkeiten zu unserem Manuskript sind augenfällig, die schablonengezogenen Zeilen, das verwendete unbeschnittene Papier, die Abkürzungen, wie beschrieben, ebenfalls mit dem A-B-Wiederholungsvermerk. Inhaltlich lassen sich in dieser Szene jedoch einige Unterschiede im Notentext feststellen, die Morlacchi für die Dresdener Version vorgenommen hat. Zwischen diesem und unserem Manuskript dürften ca. 2-3 Jahre liegen, stilistisch sind sich die beiden Handschriften jedoch sehr nahe, wobei die Dresdener noch einige Korrekturen aufweist, unsere aber das Stadium der Reinschrift schon erreicht hatte. Ob sie als Autograph anzusehen ist, läßt sich nicht so einfach entscheiden, im mindesten stammt sie aus dem unmittelbaren Kopistenkreis Morlacchis. Das letzte Blatt ist leer geblieben, doch finden sich auf der Rückseite Entwürfe für die in der Szene wichtigen Trompetensignale der Soldaten sowie eine Kalkulation. Auch das spricht für ein Autograph. Die Bezeichnung als "Partitura No I" könnte so zu deuten sein, daß die Szene als erste in Partiturreinschrift vorlag. – Francesco Morlacchi, geboren 1784 in Perugia, hat über 20 Opern geschrieben. Lange Zeit wirkte er als Kapellmeister in Dresden, wo er zur Verbreitung des italienischen Opernstils in Deutschland erheblich beitrug. Mehrere Italienreisen nutzte er dafür, Opern für dortige Häuser zu komponieren, die, im Gegensatz zu jenen für Dresden, meist ernste Stoffe waren. Eines seiner erfolgreichsten Werke war die für das Opernhaus La Fenice in Venedig komponierte Oper Tebaldo e Isolina, uraufgeführt 1822. Zu ihrem Erfolg steuerte auch einer der Sänger, der berühmte Kastrat Giovanni Battista Velluti, erheblich bei. Morlacchi starb 1841 in Innsbruck. – Erstes und letztes Bl. etw. fleckig und gebräunt, sonst nur an den Rändern leicht gebräunt. – Unbeschnittenes Bütten mit Wasserzeichen. – Titel mit Besitzvermerk eines Angehörigen des Hauses d’Este, ein weiteres Indiz dafür, daß diese Partitur vom Komponisten selbst stammt.