3: GEBETBUCH.

Niederländische Handschrift auf Pergament. Flandern und Holland, um 1480. Ca. 16,2 x 11,5 cm. Mit 7 ganzseit. Miniaturen, jeweils mit breiter floraler Bordüre, 6 großen Initialen mit Buchstabenkörper in Blattgold oder Grund in Blattgold, jeweils mit Rankenausläufen oder Rahmenbordüren, 7 großen Fleuronnée-Initialen, über 100 drei bis sechszeiligen Initialen mit Fleuronnée sowie kleinen ein – oder zweizeiligen Initialen, tls. mit Fleuronnée; Rubriken in Rot, selten in Blau, einmal in Grün, durchgehend rubriziert. Zus. 259 Bl. (von moderner Hand in Bleistift foliiert). Schriftspiegel: 11 x 7,5 cm. Meist 28 bis 30 Zeilen. Mod. Ldr. mit 2 Messingschließen in mod. Hldr.-Kassette. (140)
Startpreis: 80.000,- €


Andachtsbuch mit Stundengebeten und anderen Gebetstexten für die private Andacht in niederländischer Sprache, geschrieben in einer regelmäßigen breiten Buchminuskel. Zwei Blätter mit Miniaturen sind verloren, auch fehlen am Ende einige Textblätter. Doch bildet unser Manuskript mit seiner reichen Ausstattung mit Miniaturen mit Bordüren, die sich stilistisch in die Nachfolge des ab der Mitte des 15. Jahrhunderts in Utrecht und dann bis um 1480 in Brügge tätigen Willem Vrelant einordnen lassen, ein reifes Beispiel der spätgotischen flämischen Buchmalerei. Dagegen weist das Formenrepertoire der den Miniaturen gegenüberstehenden Seiten nach Holland, wo in den Handschriften bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts ein ähnlich breites Spektrum an Dekorformen zu beobachten ist. Auch ist zu vermuten, daß hier mehrere Hände, vielleicht über einen längeren Zeitraum, an der Ausstattung des Manuskriptes beteiligt waren. Die stilistischen Unterschiede zwischen den Bildseiten und dem übrigen Dekor, ebenso wie die mehrmals nicht eindeutig auf die nachstehenden Texte abgestimmte Ikonographie deuten darauf hin, daß in unserer Handschrift Miniaturen Verwendung fanden, die ursprünglich in einem anderen Zusammenhang geschaffen wurden.

Die Doppelseiten, jeweils mit einer von einer breiten Blütenbordüre gerahmten Miniatur und einer großen Initiale mit Gold oder Fleuronné, ebenfalls mit Blüten – oder Ornamentrahmen, stehen am Beginn der wichtigsten Textabschnitte. Sie dienen der Gliederung ebenso wie der andächtigen Betrachtung. Eine große Blattgoldinitiale auf der ersten Seite zeichnet den Beginn des Offiziums der Heiligen Dreifaltigkeit aus. Die Miniatur vor dem Passions-Offizium (fol. 38v) zeigt unter dem Gekreuzigten links die drei trauernden Marien, rechts einen Soldaten mit seinem Schild und wohl einen Priester, beide durch den Turban als Orientalen gekennzeichnet. In der Miniatur zum Beginn der Wochengebete zum Haupt Christi (fol. 64v) ist die Auferweckung des Lazarus zu sehen, der sich, nur mit einem Leichentuch bekleidet, aus dem Bodengrab erhebt. Üblich war diese Ikonographie in Stundenbüchern vor dem Toten-Offizium. Vor dem Beginn der Gebetsstunden zur Auferstehung (fol. 80v) ist ein Blatt herausgeschnitten, das wohl ebenfalls eine Miniatur trug. Der dem heiligen Bernhard von Clairvaux zugeschriebene Marienpsalter wird eingeleitet durch eine Miniatur (fol. 115v) mit der thronenden Madonna mit dem Jesuskind, flankiert von zwei Engeln. Hoheitsmotive bilden der sternengezierte Baldachin und der große Säulenbogen. Am Beginn der sieben kleinen Marien-Gebetsstunden (fol. 183v) war ebenfalls eine Miniatur vorgesehen, die jedoch nicht ausgeführt wurde. Die fein gezeichnete Blütenbordüre auf der sonst weißen Seite umrahmte wohl eine ehemals eingeklebte Miniatur. Zu Beginn der Marien-Grüße zu Weihnachten (fol. 203v) sind Maria und Joseph bei der Anbetung des Jesuskindes dargestellt, gerahmt von Rundsäulen auf hohen Sockeln, während das aus einem rohen Steinblock gebildete Gebälk und der Bretterzaun im Hintergrund an die Geburt in einem einfachen Stall erinnert. Im Zentrum der Miniatur am Beginn der Gebetsstunden zu den Sieben Schmerzen Mariae (fol. 211v) steht das Vesperbild, Maria mit dem Leichnam Jesu im Schoß am Fuß des Kreuzes, flankiert von zwei trauernden heiligen Frauen (Marien). Eine Miniatur zur Auferstehung der Toten (fol. 216v) ist dem Allerheiligen-Offizium vorangestellt. Im Himmel thront Christus als Erlöser und Weltenrichter auf dem Regenbogen, begleitet von zwei Engeln, die mit ihren Tuben zum Jüngsten Gericht blasen. Auf der Erde stehen die heilige Maria und der heilige Johannes als Fürbitter für die Verstorbenen, deren Köpfe in den Gräbern am Boden zu sehen sind. Vor dem Beginn der Gebetsstunden der heiligen Katharina (fol. 231v) ist ein Blatt mit Miniatur herausgeschnitten (Reste der Malerei sind am Bug noch zu erkennen). Erhalten ist dagegen die Miniatur zu den Gebetsstunden der heiligen Barbara (fol. 247v). Die Heilige steht unter einem Säulenbogen in einem vornehmen, mit Wandteppichen ausgestatteten Innenraum und weist mit der Märtyrerpalme auf ihr Attribut, den Turm. Neben den aufgeführten Texten folgen am Ende noch die Stundengebete der heiligen Agnes (fol. 255v) und der heiligen Ursula (fol. 258r), eingeleitet jeweils durch eine große Fleuronnée-Initiale, doch bricht der Text hier in der Complet unvermittelt ab.

Auch innerhalb der bereits angeführten Abschnitte sind die Texte weiter mit Rubriken und großen Fleuronnée-Initialen untergliedert. Eine besonders große Initiale kennzeichnet etwa den Beginn des Marienlobes in der Fastenzeit (fol. 157v). Durch größere Fleuronnée-Initialen sind auch einzelne Gebete ausgezeichnet, als Beispiele seien etwa genannt die Gebete, die dem heiligen Bernhardinus von Siena zugeschrieben werden, die sieben Gebete von der ewigen Weisheit, Ablaßgebete von Papst Alexander und Papst Innozenz, sieben Sakraments-Psalmen oder eine Litanei.

Die figürlichen Malereien sind routiniert aber schlicht ausgeführt. In ihren zarten Farben harmonieren die Szenen mit den breiten Bordüren, in denen sich kräftige Akanthusblätter mit Blütenranken abwechseln, deren fein gezeichnete Stämme mit kleinen grünen Blättchen, goldenen Knospen sowie Blüten in vielfältigen Formen besetzt sind. Die hohe Qualität zeugt von der Ausführung in einem traditionsreichen Skriptorium. Gleiches gilt für die Initialen mit ihren ornamentalen Aussparungen und formenreichem Fleuronnée-Dekor, der oft mit kleinen grünen oder gelben Elementen bereichert ist. So ist die große Fleuronnée-Initiale am Beginn der kleinen Marienhoren mit insgesamt zehn kleinen Blüten geziert. Größere Blüten oder gelappte Blätter finden sich in mehreren Initialen, etwa in der erwähnten Initiale zu den Mariengebeten der Fastenzeit mit ihrem langen Stabauslauf. Ebenso trägt die gleichmäßig hohe Qualität der kleinen, ein – und zweizeiligen Initialen in Rot und Blau, mit und ohne Fleuronnée, zum eleganten Charakter der Handschrift bei.

Der besondere Reiz unseres Manuskriptes liegt aber in den Blattgoldinitialen mit ihrer raffinierten Ornamentik und den teils fantastischen, teils auch naturalistischen Blüten. Den prächtigen Auftakt bildet die Seite mit der Initiale zu den Gebetsstunden der Dreifaltigkeit (fol. 1r). Das goldene H steht auf einem blauen, reich mit feinen weißen Ornamenten gezierten Grund, der sich in Rahmenstäben in Gold und Blau fortsetzt. In ihrem Binnenfeld, vor dem schwarzen, mit zierlichen Ranken geschmückten Grund ragt eine wunderliche Blüte mit kolbenförmigem Fruchtknoten auf. Erwähnt seien daneben aber auch die naturgetreu wiedergegebene Nelkenblüte in der Initiale zu den Horen der Osterzeit (fol. 81r) und die Akelei im Binnenfeld der Initiale zum Marienpsalter (fol. 116r). Sie steht in der Symbolsprache der Zeit für die sieben Schmerzen Mariae, verweist aber auch auf ihre Bescheidenheit und Demut. Hervorzuheben sind auch auch die eigenwilligen Initialen am Beginn der Gebetsstunden zu Allerheiligen (fol. 217r) und des Katharinen-Offiziums (fol. 231r). Sie sind aus verschlungenem Ast – und Blattwerk gebildet, das sich in Blau und Grün von dem Blattgoldgrund abhebt. In diesem Teil der Ausstattung scheint eine jüngere Generation von Miniatoren erkennbar, auch ist zu vermuten, daß hier mehrere Hände, vielleicht über einen längeren Zeitraum, an der Ausstattung des Manuskriptes beteiligt waren. So ist auch der Bordürenschmuck durch große Formenvielfalt gekennzeichnet. Neben den sehr zierlichen Blatt – und Blütenranken am Beginn der Handschrift (fol. 1r, 39r) finden sich auch in kräftigeren Linien gezeichnete, fantastische Motive (fol. 80r, 116r, 231r) oder auch zierliche Blütenranken in einer abweichenden, symmetrischen Formensprache (fol. 217r).

Literatur: Eberhard König, Heribert Tenschert, 30 illuminierte Manuskripte des 15. und 16. Jahrhunderts aus Flandern und Holland. Ramsen, Antiquariat Bibermühle, 2008 (Antiquariat Heribert Tenschert, Katalog 60. Leuchtendes Mittelalter N. F. 5), Nr. 8.

Zustand: Neu aufgebunden; vor fol. 80 und fol. 231 je ein Blatt (wohl mit Miniatur) herausgeschnitten, fol. 183v mit Klebespur (eine hier wohl vorgesehene Miniatur wurde nicht ausgeführt, eine eingeklebte Miniatur wieder entfernt), der Text am Ende inkomplett (es fehlen wohl nur wenige Blätter), einige Bl. am Außensteg, eines am Fußsteg bis zum Schriftspiegel beschnitten (ohne Textverlust), tls. an den Rändern gering beschnitten.

Dutch manuscript on vellum. Flanders or Holland, around 1480. With 7 full-page miniatures, each with a wide floral bordure, 6 gilt initials, 7 large fleuronné initials, over 100 3-6-line-sized initials with fleuronné as well as smaller initials, partly with fleuronné; headings in red, rarely in blue and one in green; rubricated throughout. Devotional book with hourly prayers and other prayer texts for private devotion in Dutch, written in a regular wide book minuscule. Two leaves with miniatures are lost, also some text leaves are missing. However, our manuscript with its rich decoration of miniatures with bordures, which stylistically can be classified as a succession of Willem Vrelant, who was active in Utrecht from the middle of the 15th century and then in Bruges until around 1480, is a mature example of late Gothic Flemish book illumination. In contrast, the formal repertoire of the pages facing the miniatures points to Holland, where a similarly broad spectrum of deco forms can be observed in manuscripts up to the beginning of the 16th century. It can also be assumed that several hands were involved in the decoration of the manuscript, perhaps over a longer period of time. The stylistic differences between the image pages and the rest of the decoration, as well as the iconography not matching the texts, indicate that the miniatures used in our manuscript were originally created in a different context. The special charm of our manuscript, however, lies in the gold-leaf initials with their refined ornamentation and the partly fantastic, partly naturalistic flowers. The splendid prelude is a page with the initial for the Hours of Prayer of the Trinity (fol. 1). The golden H stands on a blue ground richly decorated with fine white ornaments, which continue in frame bars in gold and blue. In its field, in front of the black background decorated with delicate tendrils rises a whimsical flower with a piston-shaped ovary. Mentioned should be the carnation blossom in the initial to the Easter Hours (fol. 81) and the columbine in the inner field of the initial to the Marian psalter (fol. 116). Also noteworthy are the unconventional initials at the beginning of the Hours of All Saints (fol. 217) and the Office of St. Catherine (fol. 231). In this part of the decoration, a younger generation of miniaturists seems to be recognizable, and it can be assumed that several hands were involved in the decoration of the manuscript, perhaps over a longer period of time. The border decoration is also characterized by a great variety of forms. In addition to the very delicate leaf and flower tendrils at the beginning of the manuscript, there are also fantastic motifs drawn in bold lines (fol. 80, 116, 231) or delicate flower tendrils in a different, symmetrical formal language (fol. 217). – Modern calf with 2 brass clasps in modern half calf cassette.