52: ALBUM AMICORUM – STAMMBUCH

des Wilhelm Kaulfuss, der wahrscheinlich aus Bojanowo (Westpolen) stammte, mit ca. 95 Einträgen aus Bojanowo, Breslau, Bunzlau (Boleslawiec), Driebitz, Frankfurt an der Oder, Kalisch (Kalisz), Krosno, Posen, Rawicz, Warschau, Züllichau (Sulechów) u. a., dat. 1800-09. Qu.-8º (11,4 x 17,9 cm). Mit 7 Bleistiftzeichnungen, aquarellierter Tuschezeichnung, 5 Aquarellen, 2 Stickbildern (eines auf Seide) und 2 Papierkollagen. 182 nn. Bl. (davon einige weiße). Ldr. d. Zt. mit reicher Vg. und Deckelprägung "W. Kaulfuss", dreiseit. Goldschnitt (beschabt und bestoßen). (140)
Startpreis: 1.800,- €
Ergebnis: 1.200,- €


Dieses interessante deutsch-polnische Freundschaftsalbum stammt von einem Angehörigen der deutschstämmigen, aber der polnischen Kultur und Sprache sehr aufgeschlossenen Familie Kaulfuß (auch Kaulfus oder Kaulfuss), deren Mitglieder in verschiedenen polnischen Städten lebten. Sein Vorname läßt sich dadurch erschließen, daß Kaulfuß selbst als Stammbucheinträger nachzuweisen ist, und zwar im Jahr 1803 im Album des Gustav Richtsteig (1784-1820).

Die meisten der frühen Einträge aus dem Jahre 1800 stammen aus Bojanowo in der Woiwodschaft Großpolen, das zu dieser Zeit zu Preußen gehörte. Der Vater des Eigners hieß Johann Christian (1744-1803) und war dort Oberpfarrer. Aus Bojanowo kommt auch das bekannteste Mitglied der Familie, der Philologe Johann Samuel Kaulfuß, der in Posen wirkte und 1804 eine Schrift "Ueber den Geist der polnischen Sprache" veröffentlicht hat. Darin offenbart sich seine dem Polnischen aufgeschlossene, wertschätzende Haltung. Leider findet sich in unserem Stammbuch kein Eintrag von ihm, doch zeigt sich hier dieselbe kulturell grundsätzlich offene, freundschaftliche Haltung. Zwar sind nur sehr wenige Einträge auf Polnisch geschrieben, aber polnische Einträgernamen sind viele anzutreffen.

Von Bojanow ist Kaulfuß wohl 1801 nach Breslau gegangen, wo er ca. 1801-05 Schüler am Elisabeth-Gymnasium war; die Einträge stammen hier gewöhnlich von Schulkameraden. Dann schloß sich ein Studium in Frankfurt an der Oder an, wohl der Rechtswissenschaften, wie bei den meisten Einträgern der Fall, doch sind zuweilen auch Theologen darunter. Manche der Kommilitonen stammten aus Königsberg. Die Einträge der Studienzeit stammen von 1806-08. Nach seinem Examen ist Kaulfuß 1809/10 nach Warschau gezogen und muß dort als Lehrer gearbeitet haben. Schon 1809 haben sich zwei Polinnen aus Warschau, sicherlich Schwestern, mit Namen Husarzewka, in französischen Einträgen als Schülerinnen von Kaulfuß eingeschrieben.

Unter den Beiträgern für das Album findet sich auch Prominenz, so der Linguist und Heraldiker Theodor Bernd (1775-1854), 1813 Professor am Gymnasium in Kalisch, ab 1818 in Bonn (Eintrag: Kalisch, Dezember 1814, als "Vetter und Freund" des Eigners). Martin Wagrowski, ein Studienfreund, wurde später Professor für Kameralwissenschaften in Warschau. In Breslau hat sich Carl Gottlieb Berger (1764-1824) eingetragen, der Pfarrer, Musiker, Übersetzer und Botaniker war und zahlreiche Schriften veröffentlicht hat, darunter einige zur Pflanzenkunde (Eintrag 1802). Von Mitgliedern der bekannten Breslauer Familie Morgenbesser finden sich zwei Inskripte, Michael (1782-1841), der denselben Namen wie sein Großvater trägt, der ein berühmter Stadtphysicus in Breslau war. Michael der Jüngere wurde 1811 zum Rektor der Schule zum Heiligen Geist in Breslau ernannt (Eintrag 1801); ein weiteres Mitglied der Familie (Eintrag Breslau 1802) nennt sich "Schulfreund" des Eigners. Ein Einträger, der juristische Karriere gemacht hat, ist Ferdinand Wilhelm Heinke (1782-1857); als hoher preußischer Beamter denunzierte er im Vormärz Fallersleben und Esenbeck. Bei dem Einträger namens Gronau (Warschau 1809) dürfte es sich um den Verfasser der Schrift "Ueber den Verfall der Hauptstadt Warschau", erschienen 1804, handeln. Mit Carl Friedrich Wilhelm von Seherr und Thoß (1789-1857) und einem weiteren Angehörigen haben sich zwei Vertreter einer alten Adelsfamilie und Rittergutsbesitzer, die Offiziere und Beamte hervorbrachte, eingeschrieben. Ferner zu erwähnen ist der Kantor Adam Gottlieb Tschirschnitz aus Bojanowo, ein Mitglied der bedeutenden Posener Familie Sobocki (als Jurastudent in Frankfurt an der Oder, 1806) und Angehörige der Familie Lichtenstein aus Breslau. Ein Teil der Familie Kaulfuß stammte aus Krosno im südöstlichen Polen in der Woiwodschaft Karpatenvorland. Von diesem Zweig haben sich in das Stammbuch eingetragen: Der Krosnoer Pastor Alexander Kaulfuß (abgekürzt: A. G., ein Onkel des Eigners), der Vetter Carl, eine Tante J. C. (geborene Peschold) und die Cousine Maria.

Die Bildbeiträge des Albums stehen auf eher niedrigem Niveau. Die Bleistiftzeichnungen stellen dar Freundschaftsdenkmäler (Obelisk, Urne), eine Brücke über einen Bach mit Bootsfahrern, Häuser an Seen und Flüssen, Blumen, eine Rose, die Aquarelle diverse Blumen, ein "Denkmal ewiger Freundschaft" (vom Einträger Johannes Ollrych) zwei Stickbilder von Damen (Baum mit Namenskartusche, das zweite auf Seide mit einem Zweig – dieses qualitätvoll). Ein Schattenriß im Rund zeigt den Einträger Eckart (eingeklebt) und die beiden Collagen "Zum Andenken" und einen Freundschaftstempel, beide aus bemalten Papierteilen. Am interessantesten unter den Bildern ist eine aquarellierte Tuschezeichnung mit der Verletzung eines Studenten beim Duell (eingeklebt). Weiterhin ein Aquarell, das wohl auf den Stand des Militärs im Vierten Koaltionskrieg von 1806/07 anspielt, hier übergibt ein viel größerer Kavallerist einem Beamten einige Münzen mit den abschätzigen Worten "Da hast du Geld, Philister". – Leicht gebräunt und fleckig, vereinzelt wasserrandig.